Maschinelle Übersetzung gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten, aber erst in den letzten Jahren wurden in diesem Bereich große Fortschritte gemacht...
Bei der neuralen maschinellen Übersetzung (NMU) versucht man beispielsweise, die Netzwerke und gedanklichen Prozesse des Gehirns nachzubilden, zum Teil mit großem Erfolg. Im Vergleich zu früheren Systemen wie statistischer oder, noch früher, regelbasierter maschineller Übersetzung sind die Ergebnisse mittlerweise oftmals verblüffend gut und werden zum Beispiel verwendet, um Zeit oder Kosten zu sparen. Sogar professionelle Übersetzer ziehen sie immer wieder zur Unterstützung heran.
Meinem Eindruck nach fällt die Akzeptanz in der Übersetzungsbranche ganz unterschiedlich aus:
Das Spektrum reicht von völliger Ablehnung - „so eine komplexe Aufgabe kann man nur einem Menschen anvertrauen“ - über die Einbeziehung als Grundlage - „kann man als Mittel verwenden, um brauchbare Ergebnisse zu erhalten, die aber hinterher unbedingt sorgfältig geprüft werden müssen“ - bis hin zur Gleichstellung mit Humanübersetzung - „so gut, dass sie mehr oder weniger ungeprüft an den Endkunden weitergegeben werden kann, weil die Systeme eigentlich recht fortgeschritten sind und mittlerweile auch alles schon einmal übersetzt wurde, da muss man das Rad nicht neu erfinden“.
Welchen Ansatz man wählt, hängt von der Art der zu übersetzenden Texte, von den Qualitätsansprüchen und von der Verwendung ab. Ohne Zweifel sollte man derzeit immer noch einen Menschen in den Workflow mit einbeziehen, um die besten Ergebnisse zu erreichen. Maschinelle Übersetzung stößt besonders aufgrund der Qualitätsansprüche oder der Textart an ihre Grenzen, wenn es sich zum Beispiel um ein spezielles Fachgebiet mit selten verwendeter Terminologie oder um Werbetexte, bei denen viel Kreativität gefordert wird, handelt. Die Arbeit, die man aufwenden muss, um die Übersetzung auf einen professionellen Stand zu bringen (das sogenannte „Post-Editing“), entspricht oft eher einer Neuübersetzung.
Mir sind beispielsweise die folgenden Bereiche bekannt, die bei maschinellen Übersetzungen zu Fehlern und Problemen führen können:
Maschinelle Übersetzung kann den Kontext nur sehr begrenzt berücksichtigen. Terminologie ist i.d.R kontextabhängig, und eine Maschine ist nicht in der Lage zu beurteilen, z.B. durch Recherche oder langjähriger Erfahrung in dem Fachgebiet, welche der zur Verfügung stehenden Übersetzungen wirklich passen..
Sie entstammen umfangreichen Korpora, die mit vorhandenen Übersetzungen befüllt sind, die letztendlich auch von Menschen erstellt wurden. Diese Übersetzungen beinhalten deswegen auch Fehler und Uneinheitlichkeiten.
Es gibt generische „MT Engines“ wie Google oder DeepL, die sehr umfangreich sind und eine variantenreiche Ausdrucksweise haben, um so weit wie möglich an die natürliche Sprache heranzukommen. Die Ergebnisse sind dementsprechend inkonsistent in Stil und Terminologie. Man kann eine eigene „MT Engine“ verwenden, um sie stilistisch und terminologisch zu trainieren, allerdings erfordert das viel Zeit und große Datenbestände.
Texte, die maschinell übersetzt wurden, bleiben nicht immer vertraulich, weil sie häufig auf fremden Servern gespeichert werden, wo sie von anderen Nutzern verwendet werden können.
Die Ausgangstexte spielen auch eine Rolle, da sie Fehler, ungeschickte Formulierungen, unvollständige Sätze oder Inkonsistenzen in Formulierung und Terminologie beinhalten können, die von der Maschine übernommen oder falsch interpretiert werden können (z.B. Bruchstücke von Sätzen oder Überschriften, die durch Einscannen oder fehlende Erfahrung bei der Dokumentenerstellung entstehen). Hier bleibt nichts anderes übrig als eine menschliche Prüfung während der Übersetzung (ähnlich wie beim Kontext).
Da die Übersetzungen in großen Datenbeständen von verschiedenen Menschen stammen, variiert der Stil stark, was zu Inkonsistenzen und unterschiedlichen sprachlichen Ebenen führen kann. Dafür ist nachträglich eine umfassende Redigierung erforderlich, um einen einheitlichen Stil sicherzustellen.
Fallbeispiel:
Der Key Account Manager einer Übersetzungsagentur hat mich im Juni 2021 gefragt, ob ich bereit wäre, an einer Studie zur maschinellen Übersetzung teilzunehmen. Gegenstand dieser Studie war ein Projekt im technischen/gewerblichen Bereich, an dem ich über zehn Jahre lang beteiligt war (ein großer Online-Shop für Motorradzubehör und weitere (Lifestyle-)Artikel).
Wir kamen zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von maschineller Übersetzung als Mittel der Kostenreduktion in diesem Fall zu erheblichen Qualitätseinbußen geführt hätte. Die Zeit, die notwendig gewesen wäre, um die maschinell übersetzten Texte auf dem Stand einer Humanüberstetzung zu bringen, hätte mehr oder weniger der einer Neuübersetzung entsprochen.
Zusammenfassend kann man das auf die Menge an Ausnahmen, die nicht von einer Programmierungslogik berücksichtigt werden können, zurückfuhren.
Konkrete Beispiele:
Abkürzungen
„SCHW“ für „SCHWARZ“ wurde von der Maschine mit „SW“ übersetzt, „GR.“ für „GRÖSSE“ wurde mit „GR.“ übersetzt. D.h., die Maschine kann den Kontext nicht berücksichtigen und findet entsprechende Übersetzungen in der Datenbank, die von vorneherein nicht stimmen werden.
Werbetexte
„Wie siehst du das?“, wurde mit „How do you see that?“ übersetzt. Die Bedeutung des Ausgangstexts ist aber nicht „Wie kann man das sehen?“, sondern „Was meinst du dazu?“
„Custombike, das alle anderen auf der Straße das Fürchten lehrt!“ wurde mit „custom bike that scares everyone else on the rhinestones“ übersetzt. Hier war die Übersetzung völlig daneben geraten, und der Satz musste komplett überarbeitet werden.
„Zeig allen andern stylish deine Krallen… mit dem ‚Tigers‘ T-Shirt.“ wurde mit „Stylishly show everyone else your claws with the ‚Tigers‘ T-shirt...“ übersetzt, also eine zu wörtliche Übersetzung, und eine gewisse Denkarbeit muss hier investiert werden, um die englischsprachige Leserschaft in einem ähnlichen Grad anzusprechen, z.B. “Stylishly show everyone you are no pussycat...”, was viel idiomatischer klingt.
Fazit
Maschinelle Übersetzung kann Kosten reduzieren und Übersetzungen beschleunigen. Die Zusammenhänge sind allerdings komplex, und um gute Ergebnisse zu erzielen, muss man die Vorstellungen des Kunden ausführlich besprechen, um herauszufinden, ob sie erreicht werden können. Dafür ist ein erfahrener Sprachexperte unabdingbar. Man muss einen ganz anderen Workflow erstellen und auch das Terminologiemanagement muss sorgfältig geplant werden. Sonst werden sich die Kosten für die notwendigen Korrekturen mit der Zeit ansammeln und können die ursprünglichen Kosteneinsparungen sogar überholen. Egal für welche „Strategie“ man sich bei der anstehende Aufgabe entscheidet, der Übersetzer muss seine Position immer klarstellen, im Sinne seiner professionellen Integrität und der Solidarität mit seinen Übersetzerkollegen, vor allem, wenn Kunden versuchen, die Preise zu drücken – nämlich, dass eine maschinelle Übersetzung nur so gut ist wie die Menschen, die sie verwenden. Letztendlich steht aber die Qualität der Ergebnisse an erster Stelle.
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